Dienstag, 28. Oktober 2014

Sind dynamische IP-Adressen personenbezogene Daten?

Unter anderem diese seit einer "gefühlten Ewigkeit" umstrittene Frage aus dem Datenschutzrecht hat der Bundesgerichtshof (BGH) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vorgelegt.
Die Antwort auf diese Frage ist auch über das Datum der IP-Adresse hinaus für die zentrale Definition der "personenbezogenen Daten" relevant.
Hier besagt § 3 Abs. 1 BDSG, dass personenbezogene Daten "Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener)" sind.
Bei der Bestimmbarkeit ist es hierbei bislang umstritten, ob die datenverarbeitende Stelle die Zuordnung zu dem Betroffenen vornehmen kann oder ob es ausreichend ist, wenn irgendjemand die Daten dem Betroffenen zuordnen kann. Ersteres ist der sog. relative Ansatz, d.h. ein Datum kann für die eine datenverarbeitende Stelle (etwa aufgrund Sonderwissen) ein personenbezogenes Datum sein - und damit im Anwendungsbereich des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) -, für eine andere verarbeitende Stelle (ohne das Sonderwissen) aber nicht. Nach letzterem Ansatz, sog. objektiver oder absoluter Ansatz - kann ein Datum bzgl. der Zuordnung zu einer Person zwar "nichtssagend" sein. Da aber irgendeine Stelle die Zuordnung vornehmen kann, ist das betreffende Datum für alle verarbeitenden Stellen ein personenbezogenes Datum und damit im Fokus des BDSG.
Auf der Hand dürfte liegen, dass der absolute/objektive Ansatz zu einer massiven Ausweitung der Anwendung des Datenschutzrechts führen würde, da ja fast alle Merkmale zumindest von irgendwem einer Person zugeordnet werden können.
Klassische Beispiele: Dynamische IP-Adressen, Kfz-Kennzeichen.
Eine Entscheidung des EuGH ist damit von ganz zentraler Bedeutung für das gesamte Datenschutzrecht - dementsprechend warten wir die Entscheidung des EuGH mit Spannung ab.

RA Steinle, LL.M., Fachanwalt für IT-Recht, Externer Datenschutzbeauftragter (IHK), Karlsruhe

Hier die Pressemitteilung des BGH vom 28.10.2014:
Der Kläger verlangt von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Unterlassung der Speicherung von dynamischen IP-Adressen. Dies sind Ziffernfolgen, die bei jeder Einwahl vernetzten Computern zugewiesen werden, um deren Kommunikation im Internet zu ermöglichen. Bei den meisten allgemein zugänglichen Internetportalen des Bundes werden alle Zugriffe in Protokolldateien festgehalten mit dem Ziel, Angriffe abzuwehren und die strafrechtliche Verfolgung von Angreifern zu ermöglichen. Dabei werden unter anderem der Name der abgerufenen Seite, der Zeitpunkt des Abrufs und die IP-Adresse des zugreifenden Rechners über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorgangs hinaus gespeichert. Der Kläger rief in der Vergangenheit verschiedene solcher Internetseiten auf.

Mit seiner Klage begehrt er, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, ihm zugewiesene IP-Adressen über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorgangs hinaus zu speichern. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht dem Kläger den Unterlassungsanspruch nur insoweit zuerkannt, als er Speicherungen von IP-Adressen in Verbindung mit dem Zeitpunkt des jeweiligen Nutzungsvorgangs betrifft und der Kläger während eines Nutzungsvorgangs seine Personalien angibt. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt.

Der Bundesgerichtshof hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof zwei Fragen zur Auslegung der EG-Datenschutz-Richtlinie zur Vorabentscheidung vorzulegen.

1. Der Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass es sich bei den dynamischen IP-Adressen für die verantwortlichen Stellen der Beklagten, die die Adressen speichern, um "personenbezogene Daten" handelt, die von dem durch die Richtlinie harmonisierten Datenschutzrecht geschützt werden. Das könnte in den Fällen, in denen der Kläger während eines Nutzungsvorgangs seine Personalien nicht angegeben hat, fraglich sein. Denn nach den getroffenen Feststellungen lagen den verantwortlichen Stellen keine Informationen vor, die eine Identifizierung des Klägers anhand der IP-Adressen ermöglicht hätten. Auch durfte der Zugangsanbieter des Klägers den verantwortlichen Stellen keine Auskunft über die Identität des Klägers erteilen. Der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof deshalb die Frage vorgelegt, ob Art. 2 Buchstabe a der EG-Datenschutz-Richtlinie*** dahin auszulegen ist, dass eine IP-Adresse, die ein Diensteanbieter im Zusammenhang mit einem Zugriff auf seine Internetseite speichert, für diesen schon dann ein personenbezogenes Datum darstellt, wenn lediglich ein Dritter über das zur Identifizierung der betroffenen Person erforderliche Zusatzwissen verfügt.

2. Geht man von "personenbezogenen Daten" aus, so dürfen die IP-Adressen des Nutzers nicht ohne eine gesetzliche Erlaubnis gespeichert werden (§ 12 Abs. 1 TMG*), wenn – wie hier – eine Einwilligung des Nutzers fehlt. Nach dem für die rechtliche Prüfung maßgebenden Vortrag der Beklagten ist die Speicherung der IP-Adressen zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit ihrer Telemedien erforderlich. Ob das für eine Erlaubnis nach § 15 Abs. 1 TMG** ausreicht, ist fraglich. Systematische Erwägungen sprechen dafür, dass diese Vorschrift eine Datenerhebung und -verwendung nur erlaubt, um ein konkretes Nutzungsverhältnis zu ermöglichen, und dass die Daten, soweit sie nicht für Abrechnungszwecke benötigt werden, mit dem Ende des jeweiligen Nutzungsvorgangs zu löschen sind. Art. 7 Buchstabe f der EG-Datenschutz-Richtlinie**** könnte aber eine weitergehende Auslegung gebieten. Der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof deshalb die Frage vorgelegt, ob die EG-Datenschutz-Richtlinie einer Vorschrift des nationalen Rechts mit dem Inhalt des § 15 Abs. 1 TMG entgegen steht, wonach der Diensteanbieter personenbezogene Daten eines Nutzers ohne dessen Einwilligung nur erheben und verwenden darf, soweit dies erforderlich ist, um die konkrete Inanspruchnahme des Telemediums durch den jeweiligen Nutzer zu ermöglichen und abzurechnen, und wonach der Zweck, die generelle Funktionsfähigkeit des Telemediums zu gewährleisten, die Verwendung nicht über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorgangs hinaus rechtfertigen kann.

* § 12 Telemediengesetz - Grundsätze

(1) Der Diensteanbieter darf personenbezogene Daten zur Bereitstellung von Telemedien nur erheben und verwenden, soweit dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift, die sich ausdrücklich auf Telemedien bezieht, es erlaubt oder der Nutzer eingewilligt hat.

(2) …

** § 15 Telemediengesetz – Nutzungsdaten

(1) Der Diensteanbieter darf personenbezogene Daten eines Nutzers nur erheben und verwenden, soweit dies erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen (Nutzungsdaten)…

*** Art. 2 EG-Datenschutz-Richtlinie – Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a) "personenbezogene Daten" alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person […]; als bestimmbar wird eine Person angesehen, die direkt oder indirekt identifiziert werden kann, insbesondere durch Zuordnung zu einer Kennnummer oder zu einem oder mehreren spezifischen Elementen, die Ausdruck ihrer physischen, physiologischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität sind; […]

**** Art. 7 EG-Datenschutz-Richtlinie

Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten lediglich erfolgen darf, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist: […]

f) die Verarbeitung ist erforderlich zur Verwirklichung des berechtigten Interesses, das von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden, sofern nicht das Interesse oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die gemäß Art. 1 Abs. 1 geschützt sind, überwiegen.

Urteil vom 28. Oktober - VI ZR 135/13
Vorinstanzen: AG Tiergarten - Urteil vom 13. August 2008 - 2 C 6/08, LG Berlin - Urteil vom 31. Januar 2013 - 57 S 87/08

Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 28.10.2014

Dienstag, 14. Oktober 2014

Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Videoüberwachung eines Treppenhauses in einem Bürogebäude - OVG Lüneburg


Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hatte einen interessanten Fall über eine vom Landesdatenschutzbeauftragten untersagte Videoüberwachung im Treppenhaus eines Bürogebäudes zu entscheiden (Urteil v. 29.09.2014 - Az. 11 LC 114/13). Genau genommen forderte der Landesdatenschutzbeauftragte unter Androhung eines Zwangsgeldes Deistallation von sieben Videoüberwachungskameras und die Deaktivierung einer anderen sowie die Löschung aller auf dem Videoserver gespeicherten Videobilder.

Von der Videoüberwachungsanlage erfaßt wurde das Treppenhaus und im Kellergeschoss befindliche Lagerräume eines mehrgeschossigen Bürogebäudes, welches unter anderem Büros von Rechtsanwälten, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater, einer Förderbank und andere Unternehmen  beherbergt.

Nachdem in der Steuerkanzlei in der Vergangenheit sechs Notebooks gestohlen worden waren, wurden jeweils in den Eingangsbereichen der Büros Mini-dome-Videokameras installiert, welche fest auf einen Sichtbereich ohne Zoom-Funktion ausgerichtet sind und welche sich nur bei Bewegungen im Treppenhaus automatisch einschalten. Die Aufnahmen wurden nicht gesichtet, sondern direkt auf einer Festplatte gespeichert und automatisch überschrieben, wenn kein Bedarf mehr für Sichtung besteht (black-box-Verfahren), spätestens nach 10 Tagen. Passwortgesicherten Zugang zu den Videoaufnahmen hatte lediglich das die Installation vornehmende Unternehmen und der betriebliche Datenschutzbeauftragte der Eigentümerin des Bürogebäudes. Auf die Durchführung der Videoüberwachung wiesen Hinweisschilder hin.

Im Ergebnis kam das OVG Lüneburg - genauso wie die Voristanz - zu dem Schluss, dass der Betrieb der Videoüberwachungsanlage von § 6b BDSG gedeckt und damit datenschutzkonform durchgeführt wurde.

Das Oberverwaltungsgericht prüft sehr ausführlich das Vorliegen der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 6b BDSG, welcher die datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen einer zulässigen "Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen" regelt.

Folgende Erwägungen und Feststellungen des Gerichts zum Thema "Videoüberwachung" sind hervorzuheben:

1. Werden bei der Videoüberwachung personenbezogene Daten erfaßt?
Es reiche für die Annamhme zumindest einer Personenbeziehbarkeit aus, wenn "neben den erkennbaren Gesichtszügen auch das sonstige Körperbild, etwa die Körperhaltung, die Kleidung oder mitgeführte Gegenstände" erfaßt würden. Denn auf eine "tatsächlich erfolgreiche Identifizierung in jedem Einzelfall" kommt komme es nicht an.

2. Handelt es sich bei dem Treppenhaus und dem Kellerbereich um einen "öffentlich zugänglichen Raum" im Sinne des § 6b Abs. 1 BDSG?
Ja, zu diesem Schluss kommt das OVG Lüneburg. Denn hierunter "fallen alle Bereiche, die von einem unbestimmten oder nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Personenkreis betreten und genutzt werden können und ihrem Zweck nach auch dazu bestimmt sind". Vorliegend sei dies nach dem Willen der Gebäudeeigentümerin und der Mieter, dass sowohl die Beschäftigten als auch die Kunden und Klienten der in dem Bürogebäude befindlichen Betriebe und Kanzleien sowie etwaige Zulieferer freien Zugang zu dem Gebäude erhalten sollen.
Dies wäre anders zu beurteilen bei einem Betriebsgelände, bei welchem ein Pförtner Einlasskontrollen vornimmt.

Das Oberverwaltungsgericht kommt sogar zu dem Schluss, dass ein Vorraum im Kellergeschoss ein "öffentlich zugänglicher Raum" im Sinne des § 6b BDSG darstelle, obwohl sich hier keine Büroräume befinden und damit "kein freier Zugang" besteht. Das OVG lässt es aber ausreichen, dass sich dort unter anderem "Lagerräume und ein Getränkeautomat" befinden, zu welchen "jedenfalls die Inhaber der gewerblichen Betriebe und Kanzleien sowie deren Beschäftigte und gegebenenfalls deren Zulieferer freien Zugang" hätten. Denn, so das Gericht "eine derart eingeschränkte Zugänglichkeit für eine näher bestimmbare Personenzahl reicht für das Merkmal des öffentlich zugänglichen Raums aus. Etwas anderes könnte gelten, wenn der Vorraum im Kellergeschoss nach den objektiven Gegebenheiten eindeutig gegen Publikumsverkehr abgegrenzt ist; hieran fehlt es. Zudem lässt sich aus dem Umstand, dass zumindest in der Vergangenheit neben dem Getränkeautomat mehrere Stühle aufgestellt waren, die Schlussfolgerung ziehen, dass nach dem mutmaßlichen Willen der Berechtigten auch dieser Bereich einer eingeschränkten Öffentlichkeit zugänglich sein soll."

Naja, eine Argumentation, welche mich nicht vollends überzeugt. Mit dieser weiten Auslegung würde konsequenterweise fast jeder nicht der Öffentlichkeit zugängliche Raum zu einem "öffentlich zugänglichen Raum" im Sinne des § 6b BDSG.

Ferner führt das Oberverwaltungsgericht aus, dass es unerheblich sei, dass das Geschäfts- und Bürogebäude nur zu den branchenüblichen Sprech- und Öffnungszeiten geöffnet und außerhalb dieser Zeiten verschlossen ist. Aufgrund der Eigenart und Struktur der in dem Gebäude befindlichen Kanzleien und sonstigen Unternehmen könne es durchaus vorkommen, dass auch außerhalb der üblichen Bürozeiten in den Abendstunden oder am Wochenende - wenn auch im eingeschränkten Umfang - Besprechungstermine mit Klienten, Mandanten und Kunden vereinbart werden und mithin Publikumsverkehr stattfinden kann. Das Gebäude sei deshalb auch außerhalb der üblichen Öffnungszeiten als öffentlich zugänglicher Raum anzusehen, so das Gericht.

§ 6b Abs. 1 BDSG rechtfertigt eine Videoüberwachung von öffentlich zugänglichen Räumen, wenn dies (unter anderem) zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.
Auf beide Aspekte geht das Gericht ein:

3. Rechtfertigung aufgrund einer "Wahrnemung des Hausrechts"?
Auf das Tatbestandsmerkmal "Wahrnemung des Hausrechts" könne sich die Gebäudeeigentümerin vorliegend berufen. "Das Hausrecht, auf das sich auch nicht-öffentliche Stellen wie die Klägerin berufen können, beinhaltet die Befugnis, darüber zu entscheiden, wer ein Gebäude betreten und darin verweilen darf. Der Inhaber des Hausrechts ist daher berechtigt, die zum Schutz des Objekts und der sich darin aufhaltenden Personen sowie die zur Abwehr unbefugten Betretens erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, d. h. Störer zu verweisen und ihnen das Betreten für die Zukunft zu untersagen, mithin ein Hausverbot auszusprechen. Eine Beobachtung zur Wahrnehmung des Hausrechts dient sowohl einem präventiven als auch einem repressiven Zweck, indem zum einen Straftaten durch Abschreckung verhindert und zum anderen die Strafverfolgung durch die Auswertung des aufgenommenen Bildmaterials zum Zweck der Beweissicherung ermöglicht werden. Inhaber des Hausrechts können mehrere Personen sein - etwa der Eigentümer des Objekts und seine Mieter."

4. Rechtfertigung aufgrund einer "Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke"?
Das Gericht ist der Ansicht, dass sich die Gebäudeeigentümerin zusätzlich auch auf den Zulässigkeitstatbestand der Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke berufen könne. "Als derartiges Interesse gilt nicht nur ein rechtliches, sondern jedes tatsächliche Interesse, das auch wirtschaftlicher oder ideeller Art sein kann, wobei es objektiv begründbar sein und sich aus der konkreten Sachlage heraus ergeben muss. Bei dem Einsatz von Videotechnik zum Zweck der Gefahrenabwehr ist regelmäßig von der Wahrnehmung berechtigter Interessen auszugehen".

Liege ein Gebäude in einer "Gegend mit potentiell gefährdeten Bereichen, wie dies etwa bei Einkaufszentren, Kaufhäusern und weitläufigen und schwer einsehbaren Geschäftsräumen wie etwa Selbstbedienungsläden" oder "potentiell stark gefährdeten Einrichtungen, die typischerweise Opfer von Straftaten wie Einbruchsdiebstählen oder Überfällen werden, wie dies etwa bei Tankstellen und Juwelierläden" könne schon das Vorliegen einer derart abstrakten Gefahrenlage ausreichend sein.

Da vorliegend aber bereits wertvolle Gegenstände (Notebooks) aus Büros in dem Gebäude gestohlen worden waren, könne sich die Gebäudeeigentümerin aber auf eine konkrete Gefährdungslage berufen, welche die Durchführung von Videoüberwachungsmaßnahmen rechtfertigen können. "Die aufgrund der Abschreckungswirkung mögliche Verhinderung von Straftaten zum Nachteil des Eigentümers des überwachten Objekts und der Vertragspartner und die Sicherung von Beweismaterial zur Aufklärung von begangenen Straftaten stellen ein berechtigtes Interesse dar."
Darüber hinaus berücksichtigt das Gericht, dass sich in den an Rechtsanwalts- und Steuerkanzleien vermieteten Räumen "sensible  schützenswerte Daten der Kunden dieser Unternehmen" befänden.

Das Gericht geht aufgrund des Abschreckungseffekts auch von einer grundsätzlichen Eignung einer Videoüberwachung zur Verhinderung von Straftaten bzw. zur späteren Identifizierung der Täter einer Straftat aus.

5. Gibt es ein milderes Mittel zur durchgeführten Videoüberwachung?
Das Gericht kommt recht schnell zu dem Schluss, dass eine Beschränkung der Videoüberwachung auf Zeiträume, in denen ein Publikums- und Beschäftigtenverkehr in dem Bürogebäude im Allgemeinen nicht stattfindet, nicht ausreichend sei. Die Erforderlichkeit einer Überwachung "rund  um  die Uhr“ ergebe sich daraus, dass es auch während der Öffnungszeiten "- angesichts der dann freien Zugänglichkeit des Gebäudes sogar mit einer höheren Wahrscheinlichkeit - zu Diebstählen oder anderen Straftaten  kommen" könne.

6. Liegen gegen eine Videoüberwachung spechende schutzwürdige Interessen der Betroffenen vor?
Dieser Aspekt ist bei allen Prüfungen der Datenschutzkonformität von Videoüberwachungen ein sehr wichtiger Punkt. Alleine das Vorliegen der o.g. Tatbestandsmerkmale reichen für Rechtfertigung einer Videoüberwachung nicht aus. Es gilt stets, das Interesse des von der Überwachung Betroffenen abzuwägen, insbesondere das von Mitarbeitern, welche sich evtl. einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz nicht entziehen können.

Vorliegend sieht das Gericht keine schutzwürdigen Interessen, etwa von Beschäftigten oder Besuchern, verletzt.

Zum einen, da die Videokameras "fest installiert und auf einen Sichtbereich ohne Zoom-Funktion ausgerichtet" seien und "Bewegungen der beobachteten Personen im Raum" nicht nachvollziehen können. Zum anderen sei es nicht möglich, "Einzelheiten der beobachteten Personen, insbesondere Gesichtskonturen, näher in den Blick zu nehmen", weshalb die Kameras "weniger als ein aufmerksamer Beobachter" erfassen würden.
Ein sicherlich wichtiger Aspekt bei der Überwachung des Treppenhauses bzw. der Kellerräume ist, dass diese Örtlichkeiten "nicht einem längeren Verweilen, etwa zum Zweck einer Kommunikation mit Dritten" dienen, sondern die Betroffenen lediglich für einen sehr kurzen Zeitraum in das Blickfeld der Kameras gelangen.
Es sei nicht möglich, Bewegungs- und Verhaltensprofile einzelner beobachteter Personen aufgrund der Videoüberwachung zu erstellt.
Ferner handelt es sich bei dem videoüberwachten Bereich um keine solchen Örtlichkeiten, in welchen Einblicke in höchstpersönliche Bereiche der Intim- und Privatsphäre gewährt werde (wie dies etwa bei der Überwachung von Toiletten, Umkleidekabinen, Duschen, Saunen, ärztlichen Behandlungsräumen oder Privaträumen und Gastronomiebetrieben der Fall wäre) und es sind hier auch keine Einblicke in Arbeitsbereiche der in dem Bürogebäude tätigen Beschäftigten möglich.

Zu berücksichtigen sei ferner, dass "die Videoaufnahmen nicht auf einen Monitor übertragen werden, an dem Überwachungspersonen zur ständigen und sofortigen Auswertung der Bilder sitzen. Die Bildaufnahmen werden vielmehr im sogenannten black box-Verfahren auf einen Server geleitet und in der Regel nach einer bestimmten Zeit ohne jede Auswertung durch Überschreiben der digital gespeicherten Daten wieder gelöscht. Lediglich wenn ein Ereignis eintritt, das den oben genannten Zwecken des Hausrechts und der berechtigten Interessen der Klägerin als Hauseigentümerin und ihrer Mieter zuwiderläuft, erfolgt eine Sichtung des aufgenommenen Bildmaterials mit dem Ziel der Auswertung."

7. Wie lange dürfen die aufgezeichneten Videobilder auf dem Server aufbewahrt werden?
Gem. § 6b Abs. 5 BDSG sind die aufgezeichneten Videoaufnahmen "unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen." In der Regel ist die gebotene Aufbewahrungsfrist recht kurz zu bemessen - in der Regel bis festgestellt werden konnte, dass es etwa nicht zu einem Einbruch oder sonstigem Zwischenfall gekommen ist (unter Berücksichtigung von arbeitsfreien Zeiten wie Wochenenden und Feiertage).

Vorliegend hält das Gericht trotz Bezugnahme auf die vom Gesetzgeber in den Gesetzesmotiven festgehaltenen Annahme einer Aufbewahrungsfrist von ein bis zwei Arbeitstagen sogar noch eine Aufbewahrungsfrist von bis zu zehn Wochentagen noch für angemessen.
"Diese Frist ist zwar für den verfolgten Zweck der Abschreckung (Prävention) nicht erforderlich, sie ist aber mit Blick auf die Aufklärung etwaiger Rechtsverstöße angemessen. Angesichts der häufigen berufsbedingten Abwesenheit der Mitarbeiter, die in den einzelnen in dem Bürogebäude der Klägerin
befindlichen Kanzleien und Praxen beschäftigt sind, und unter Berücksichtigung von mitunter längeren arbeitsfreien Zeiträumen ist die zeitliche Spanne der Speicherung von zehn Wochentagen nicht unverhältnismäßig. Denn oftmals wird erst nach Ablauf dieser Zeitspanne verlässlich feststehen, ob und welche Vorkommnisse eine nähere Untersuchung auch unter Zuhilfenahme der aufgenommenen Videobilder erfordern und rechtfertigen."



RA Steinle, LL.M., Fachanwalt für IT-Recht, Externer Datenschutzbeauftragter (IHK), Karlsruhe

Freitag, 19. September 2014

Keine Verantwortung des Betreibers einer Facebook-Fanpage für die Datenverarbeitung bei Facebook

Mit Urteil vom 4. September 2014 hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig entschieden, dass der Betreiber einer Fanpage auf der Facebook-Plattform nicht für die Datenverarbeitung - und damit auch den Datenschutz - bei der Datenerhebung und -verarbeitung der personenbezogenen Daten der Besucher seiner Fanpage verantwortlich ist.
Auslöser des Rechtsstreits war eine Anordnung des Unabhängigen Landeszentrums Schleswig-Holstein (ULD) gegenüber der Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein GmbH, deren Präsenz bei Facebook abzuschalten.

Anbei die Pressemitteilung des OVG Schleswig:
OVG Schleswig: Wirtschaftsakademie kann vom ULD nicht zur Abschaltung ihrer Facebook-Fanpage verpflichtet werden

Der Betreiber einer Facebook-Fanpage ist für die allein von Facebook vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten von Besuchern der Fanpage datenschutzrechtlich nicht verantwortlich, denn er hat keinen Einfluss auf die technische und rechtliche Ausgestaltung der Datenverarbeitung durch Facebook. Dass er von Facebook anonyme Statistikdaten über Nutzer erhält, begründet keine datenschutzrechtliche Mitverantwortung. Das ULD als Datenschutzaufsichtsbehörde darf den Fanpagebetreiber deshalb nicht zur Deaktivierung seiner Fanpage verpflichten.

Dies hat der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts mit Urteil vom 4. September 2014 entschieden und damit die Berufung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 09. Oktober 2013 zurückgewiesen. Seine Anordnung Ende 2011 gegenüber der Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein GmbH, deren Facebook-Fanpage zu deaktivieren, hatte das ULD mit datenschutzrechtlichen Verstößen von Facebook - insbesondere einer fehlenden Widerspruchsmöglichkeit von Nutzern nach dem Telemediengesetz gegen die Erstellung von Nutzungsprofilen - begründet. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts war diese Anordnung des ULD auch bereits deshalb rechtswidrig, weil vor einer Untersagungsverfügung an einen datenschutzrechtlich Verantwortlichen erst ein abgestuftes Verfahren einzuhalten ist, in dem zunächst eine Umgestaltung der Datenverarbeitung angeordnet und ein Zwangsgeld verhängt werden muss. Eine rechtlich grundsätzlich denkbare Ausnahmesituation hiervon lag nicht vor.

Das Oberverwaltungsgericht hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision gegen das Urteil (Az.: 4 LB 20/13) zugelassen. Diese kann innerhalb eines Monats nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe eingelegt werden.

Quelle: Pressemitteilung des OVG Schleswig vom 05.09.2014